- Subjekt-Objekt-Dualismus: Für ein neues Verständnis der Natur
- Subjekt-Objekt-Dualismus: Für ein neues Verständnis der NaturDer Streit über die kulturgeschichtliche Bedeutung des Subjekt-Objekt-Dualismus bricht immer wieder auf. Bei allen ernst zu nehmenden Interpreten herrscht jedoch Einigkeit über die herausragende Rolle, die beiden Kategorien für die »Entzauberung der Natur« (Max Weber) im Zuge der abendländischen Rationalisierung zukommt. Historisch gehört der Prozess der Selbsterkenntnis des Menschen als Subjekt der geistesgeschichtlichen Aufklärung und der Emanzipation des Menschen aus feudaler Abhängigkeit und Unmündigkeit an. Die damit verknüpfte revolutionäre Vorstellung bestand darin, den Menschen nicht nur als Einheit seiner Gedanken und Handlungen, sondern auch als deren Produzent anzusehen. Der Mensch erfindet sich und seine Welt. Er ist sich seiner selbst »an und für sich« bewusst. Das Objekt dagegen erhält seine gegenständliche Bestimmung »an sich« durch das Subjekt, dem es passiv »entgegensteht«. Diese Deutung einer fundamentalen Differenz zwischen Subjekt und Objekt veränderte auch das Verhältnis der Menschen untereinander: Der Mensch als Subjekt kann rechtens nicht mehr Eigentum, nicht Objekt eines anderen sein. Mit dem Subjektbegriff ist somit auch eine universelle Vorstellung von Menschenwürde und Freiheit im Sinne des Selbstseins verbunden, die den Menschen als ein Einzelwesen unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu Staat, Stand, Familie, Religion, Geschlecht und Rasse auffasst.Vor allem Descartes wird für die Dualismen der abendländischen Geschichte: Subjekt-Objekt, Geist-Materie, Seele-Leib, Innenwelt-Außenwelt verantwortlich gemacht. Auf dem Gebiet der Neurophysiologie - führende Forscher behaupten immer wieder, die kartesianischen Dualismen zugunsten eines einheitlichen Modells zur Erklärung der Funktionsweise des Gehirns überwunden zu haben -, sind dessen Überlegungen jedoch nach wie vor aktuell. Bewusstsein wird hier als Begleitphänomen betrachtet, das sich als künftiges Ziel der Forschung in der Darstellung von elektronischen Prozessen, Nervenzellen, neuronalen Netzen, Transmitter und Neuropeptiden verflüchtigen wird. Die Frage: »Was tun wir, wenn wir denken?«, vereint Chemiker, Biologen, Neurologen, Mediziner, Psychologen, Linguisten, Evolutionstheoretiker, Kybernetiker, Kognitionsforscher, Mathematiker, Computerexperten zu einem interdisziplinären Programm. Gemeinsam mit sprachanalytischen Philosophen in der Tradition Ludwig Wittgensteins wollen sie zeigen, dass kausale Modelle der Selbstorganisation, des Chaos, der Evolution oder der quantenmechanischen Rechennetzwerke eines Tages diejenigen Terminologien der Alltagssprache, die auf Bewusstsein referieren, als unangemessene und unwissenschaftliche Ausdrucksweise entlarvt und ersetzt werden. Während diese Forscher (stellvertretend für viele John Eccles) Descartes' Forschungsinteressen der Objektivierung und rationalen Konstruktion des Menschen und seiner Welt weiterführen, übersehen sie jedoch, dass Descartes auch gezeigt hat, dass das Wesen des »Ich denke« gerade nicht objektivierbar und kausal determiniert, sondern selbstreflexiv ist. Daher ist jede Form des naturwissenschaftlichen Reduktionismus unangemessen, die anstrebt, das denkende Subjekt zu erfassen.Auf der naturwissenschaftlichen Theorie der Selbstorganisation des menschlichen Gehirns baut der radikale Konstruktivismus auf und vermittelt ein solipsistisch-skeptisches Weltbild. Lebende Systeme wie das Gehirn seien rekursiv geschlossene Einheiten, die auf Kognitionen beruhen, und alles, was sie für ihre Reproduktion benötigen, selbst produzierten. Sie teilten keine Sichtweisen und kein Wissen mit anderen Systemen. Bedeutungen verweisen auf interne Beziehungen, außerhalb derer sie keinen Sinn ergeben. Die Konstruktivisten verneinen daher auch die Annahme eines universalgeschichtlichen Fortschritts, einer universell gültigen Vernunft, einer allgemein verbindlichen Wahrheit und die Existenz einer gemeinsamen Welt als Gegenstand der Verantwortung aller Menschen. Woher weiß ich, dass ich mir nicht nur einbilde, diesen Text zu schreiben und dass ein Leser den Text versteht, wie »ich« glaube, den Text zu verstehen? Konstruktivisten beantworten dieses im Geiste Descartes' gestellte Problem damit, dass es keine Gewissheiten eines Subjekts gibt, die ein weiteres Subjekt aus nicht zufälligen Gründen teilt. In der Soziologie hat Niklas Luhmann den Ansatz sich selbst organisierender geschlossener Systemwelten auf die Gesellschaft übertragen und erklärt, diese funktioniere ohne Bewusstsein und ohne Subjekt.Kant hatte die Physik Isaac Newtons vor Augen, die von einem durchgängig determinierten materiellen, »seelenlosen« Universum ausging und die zwischen dem forschenden Physiker und der zu erforschenden Realität strikt trennte. In dieser Version des Subjekt-Objekt-Modells - das neutrale gleichgültige Forschersubjekt auf der einen und die objektivierte starre Natur auf der anderen Seite - wird seit Goethe vor allem der Grund für Naturzerstörung und -vernichtung ausgemacht. Im 20. Jahrhundert brach sich jedoch mit der Quantentheorie ein neues Naturverständnis Bahn, das nicht mehr durchgängig an einer beobachtungsunabhängigen Außenwelt oder der widerspruchsfreien Verwendung wissenschaftlicher Begriffe festhielt. In der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie wird dargelegt, dass die Berechnungen der Quanten lediglich zu statistischen Ergebnissen mit Wahrscheinlichkeitswert führen. Das Beobachtersubjekt und dessen Messverfahren selbst werden als konstitutiv für die beobachteten Objekte angesehen. Das heißt, die Physiker stehen demnach nicht mehr außerhalb der physikalischen Welt, die sie analysieren. Die dualistischen Begriffe Masse und Energie, Korpuskel und Welle gelten gleichermaßen als beschreibungsrelevant.Die New-Age-Philosophie hat Anstrengungen unternommen, die Physik des 20. Jahrhunderts in eine Metaphysik zu transformieren. Dabei wird durch eine ganzheitliche (holistische) Weltsicht und esoterische Spiritualität ein »teilnehmendes Universum« (Frithjof Capra) unterstellt, in dem alle Dualismen in einem einheitlichen »Gesetz« aufgelöst werden. Die »Urheber« dieser Bewegung, zumeist Wissenschaftspublizisten, knüpfen an fernöstliche Religionen und Symbole wie den »Tanz des Gottes Shiva« als Quelle der mikro- und makrokosmischen Dynamik an. Die New-Age-Bewegung ist nur ein Beispiel für die Entstehung einer »naturwissenschaftlich unterfütterten« Religion des 20. Jahrhunderts, die die Naturwissenschaften benutzen, um Aussagen, die jenseits des wissenschaftlichen Geltungsbereichs liegen, als scheinbar gesichert darzustellen. Naturalistische Fehlschlüsse, zum Beispiel die Ableitung menschlicher Handlungsmaximen aus Erfahrungstatsachen, prägen das gesamte Unternehmen. Nicht durch Mündigkeit soll sich das Individuum des New-Age-Zeitalters auszeichnen, sondern durch Konformität mit Gesetzen der Natur, zu der es nur durch die Interpretation der »Experten-Prister« Zugang hat. Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas sieht in diesen und ähnlichen modernen Naturreligionen den vergeblichen Versuch des »Versöhnung mit der Natur«, für die der zu hohe »Preis der Wiederverzauberung« zu zahlen sei. Wird darauf verzichtet, auf rationale Weise nachvollziehbar Urteile zu fällen, so erfolgt ein Rückfall in eine voraufklärerische Weltsicht, in der der Mensch die auf seinem Urteilsvermögen beruhende Zuständigkeit für diese Welt abgibt. In der Fähigkeit des Einzelnen, selbst zu denken und die Urteile anderer auf ihre Rationalität hin zu überprüfen, hat Kant die zentrale Forderung der Aufklärung gesehen.Im deutschen Idealismus erreicht die Subjektphilosophie ihren Höhepunkt. Fichte und Hegel betonen, dass das Wesen des Subjekts darin besteht, dass es sich selbst denkt und dieses Selbstbewusstsein von existenzieller Bedeutung ist. In den Subjekten als den »konkret Allgemeinen« reflektieren sich die historischen Stufen, die soziokulturellen Institutionen und das gesellschaftliche Wissen. Damit kann nach Hegel das Subjekt seine Freiheit als »bei sich selbst sein« nur innerhalb der Beziehung auf andere Subjekte entwickeln. Hierin liegt die bis heute maßgebliche intersubjektivitätstheoretische Wende der Bewusstseins- und Subjektphilosophie, die dann bei Karl Otto Apel und Jürgen Habermas sprach- und kommunikationstheoretisch aufgefasst wird. Das individuelle Subjekt erfährt sich als Ich über die Anerkennung eines anderen Ich. Die Lebensgeschichte des Subjekts in der Moderne ist nicht nur Ausdruck seiner Selbstgleichheit, sondern auch der Distanz- und Differenzerfahrung mit sich selbst und mit anderen. Die Frage: »Wer bin ich?« verweist das Subjekt auf seine Geschichte.Hegels entwicklungs- und intersubjektivitätstheoretische Bestimmung des Subjektbegriffs hat die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts stark geprägt. Amerikanische Pragmatisten und Sozialpsychologen sahen in Hegel den Überwinder des Dualismus von Subjekt und Objekt, von Geist und Natur. Ihr Konzept bestand darin zu zeigen, dass Geist aus sozialen Handlungen erwächst. Hier ist George Herbert Mead zu nennen. Jede spezifische Subjekt-Objekt-Interaktion ist symbolisch vermittelt, vor allem durch die gesprochene Sprache. Soziales Handeln, Objektbildung und Individuierung sind Dimensionen eines einheitlichen historischen Geschehens. Der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt ist somit bereits innerhalb der Symbolstruktur der Kommunikation aufgehoben, bevor er überhaupt in der individuellen Selbstwahrnehmung bewusst wird. Das Selbstbewusstsein des Subjekts ist für Mead ein reflexiver Prozess, der dadurch zustande kommt, dass das Individuum sich selbst zum Gegenstand macht. Dieses sich selbst objektivierende Selbstbewusstsein des Subjekts ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes, verantwortliches Handeln. Mead geht davon aus, dass diese Freiheit des Subjekts nicht angeboren, sondern Resultat von Entwicklung und Erziehung ist. Insbesondere in der Sozialisationsforschung (Erik Erikson) und der Entwicklungspsychologie (Jean Piaget) wird davon ausgegangen, dass die ontogenetische Entwicklung des Individuums Autonomie zum Ziel hat. Diese Autonomie, die sich im Verhalten gegenüber den Mitmenschen, den Institutionen und der Objektwelt zeigt, liegt weder im Ausagieren (hedonistischer) »natürlicher« Begierden noch im (konventionellen) rollenkonformen Handeln begründet, sondern in der Urteilsbildung und Handlungsorientierung auf der Grundlage von universellen Prinzipien (Menschenwürde, Gleichheit, Gerechtigkeit), die die Subjektivität der Mitmenschen einbeziehen.Für Hegel ist Natur das Andere des Geistes, das heißt, sie spiegelt auf nicht bewusste Weise die Geschichte des Menschen, die Kultur, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Politik und die Ökonomie wider. Die Natur, mit der wir konfrontiert sind, ist immer schon gedeutete und bearbeitete Natur, wenn nicht sogar: technisch reproduzierte Natur (Gernot Böhme). In modernen Industriegesellschaften hat Natur mannigfaltige Objektbedeutungen, die mit den Lebensperspektiven der Menschen unaufhebbar verknüpft sind - als Rohstoff, als Energiequellen, als Material, als Grund, als Ackerland, als Garten, als Park, als Wald und so weiter. Wissenschaftlicher wie industrieller Fortschritt werfen die Erwartung auf, Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen. Wege, die der Komplexität und Vernetzung der Probleme gerecht werden, setzen daher nicht weniger, sondern mehr Rationalität und Wissenschaftlichkeit voraus. Da es sowohl in der Ökonomie als auch in der Ökologie immer um die äußere und innere Natur als Teil der Lebenswelt von Menschen geht, kann es keine abstrakten Antworten auf die Fragen nach der Grenze und der Richtung des Fortschritts der Naturbeherrschung geben. Diese Probleme, die letztlich Fragen nach der Eudaimonie, dem guten Leben, aufwerfen, können nur von mündigen Subjekten, die sich als solche ihrer Verantwortung bewusst sind, vernünftig gelöst werden.Prof. Dr. Christiane BenderGeschichte der Philosophie in Text und Darstellung, herausgegeben von Rüdiger Bubner. Band 8: 20. Jahrhundert, herausgegeben von Reiner Wiehl. Neuausgabe Stuttgart 1995.Hacking, Ian: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Aus dem Englischen. Stuttgart 1996.Philosophie im 20. Jahrhundert, herausgegeben von Anton Hügli und Poul Lübcke. 2 Bände. Reinbek 2-31996—98.
Universal-Lexikon. 2012.